- wegen fehlender Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts?
- Klagsdeckung und Erwirkung eines positiven Urteils für den Fluggast aber Deckungsablehnung für die Vollstreckung des Urteils am ausländischen Sitz der Fluglinie
Fall 1: Frau A arbeitet in einer Anwaltskanzlei. Sie kommt am 12.06.2023 nicht zur Arbeit, weil sie in Frankfurt festsitzt. Sie sitzt in Frankfurt fest, da ihr Urlaubsrückflug von Paris über Frankfurt nach Wien bereits am 11.06. in Paris verspätet abflog, weshalb der Anschlussflug von Frankfurt nach Wien verpasst wurde und erst am 12.06. mit deutlicher – 11 stündiger – Verspätung in Wien ankam.
Fall 2: Frau M erging es ähnlich. Sie buchte einen Urlaubsrückflug für den 10.04. von Malta über Brüssel nach Wien. Es handelte sich auch hier nicht um einen Direktflug, jedoch um eine einheitliche Buchung. Auch Frau M hat sich ihren Rückflug also nicht zusammengestoppelt.
In beiden Fällen wurde das sogenannte „Endziel“, nämlich Wien, mit mehr als 8- bzw. mehr als 11-stündiger Verspätung erreicht. Neben Verpflegungskosten, Wartezeit auf überfüllten Flughäfen oder sogar verlorenen Urlaubstagen aufgrund verspäteter Rückkehr machten die beiden jeweils Ausgleichsleistungen nach Art 7 der Fluggastrechteverordnung gegenüber den ausführenden Fluglinien geltend; dies, trotz aufrechten Rechtsschutzversicherungsverträgen vorerst vermeintlich auf ihr eigenes Kostenrisiko. Die außergerichtlichen Aufforderungen an die ausführenden Luftfahrtunternehmen endeten in beiden Fällen erfolglos, sodass eine gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche der beiden Damen bevorstand und zu diesem Zweck um Deckung bei der Rechtsschutzversicherung angefragt wurde.
Die Rechtsschutzversicherung im ersten Fall lehnte die Deckung ab mit dem Hinweis, dass bei einer Entschädigungsklage aufgrund einer Flugverspätung laut Entscheidung des EuGH das Gericht am Abflugort des verspäteten Flugzeugs zuständig sei. Diese pauschale Absage war falsch und basierte auf einer Fehlinterpretation einer Entscheidung des EuGH durch die Versicherung, die nach entsprechender Aufklärung ihre Deckungsablehnung revidiert hatte. Fest steht, und dies hat der EuGH bereits in mehreren Rechtssachen klargestellt: Man kann am Ankunftsort des letzten Teilfluges (also in Wien), am sogenannten Endziel, klagen (Rechtssachen Flightright u.a.; C-606/19, C-274/16, C-447/16 und C-448/16). Für diesen Fall ist eine Zuständigkeit österreichischer Gerichte grundsätzlich gegeben. Nach Art 7 Abs 1 lit a EuGVVO bzw. Art 33 Übereinkommen von Montreal kann eine Person aus einem anderen Staat nämlich auch dann in Österreich geklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag gegen diese geltend gemacht werden und der Erfüllungsort (wie z.B. das Endziel eines oder mehrerer Flüge) in Österreich liegt. Im Europäischen Mahnverfahren wurde dann auch im Fall, dass die Fluglinie einen Einspruch erhebt, die Durchführung des ordentlichen Verfahrens vor dem (bei einem Flug-Endziel Wien) zuständigen Bezirksgericht in Schwechat beantragt. In diesem Fall liegt ein vollstreckbarer Europäischer Zahlungsbefehl noch nicht vor, sodass man sich bislang um die Frage, wie man zum eingeklagten Geld faktisch kommt, noch keine Gedanken machen musste.
Die andere Rechtsschutzversicherung erteilte Deckungszusage für den zweiten Fall, teilte jedoch mit, dass nach den anwendbaren Versicherungsbedingungen die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Versicherungsnehmerin in Österreich erfolgen muss und dafür die Zuständigkeit eines staatlichen österreichischen Gerichtes gegeben sein muss, da die Versicherungsnehmerin den Baustein Europarecht nicht mitversichert hatte. Es wurde daher der Anspruch der Frau M ebenfalls im Europäischen Mahnverfahren eingeklagt und ein vollstreckbarer europäischer Zahlungsbefehl erreicht. Mangels freiwilliger Zahlung der unterlegenen Fluglinie musste der vollstreckbare Zahlungsbefehl im Ausland exekutiert werden. Rechtsschutzdeckung für das Vollstreckungsverfahren wurde jedoch nicht erteilt. Pfändbares bewegliches Vermögen in Österreich, welches gem. § 4 EO auch durch österreichische Gerichte pfändbar ist, wenn die verpflichtete Partei keinen Sitz im Inland hat, schien nicht zu existieren. Dies führte dazu, dass, trotz vermeintlicher Rechtsschutzdeckung, zwar ein Verfahren zur Erlangung des Titels gedeckt war, die Durchsetzung desselben im Ausland (am Sitz der Fluglinie) jedoch nicht. Da die Durchsetzung Europäischer Zahlungsbefehle in anderen Mitgliedstaaten der EU ohne entsprechende Rechtsschutzdeckung jedenfalls mit Kosten verbunden ist, entscheiden sich Versicherungsnehmer oftmals dafür, ihre Ansprüche nach Erlangung eines Titels nicht weiter zu verfolgen.
Versicherungsrechtlich ist daher in Reisesachen einiges zu beachten.
Nach den individuellen Bedingungen des Rechtsschutzversicherungsvertrages sind Verfahren vor österreichischen Gerichten grundsätzlich gedeckt, sofern auch die betreffende Versicherungssparte versichert ist (§ 158j VersVG). Hier ist etwa darauf zu achten, ob Reiseveranstaltungsverträge (Pauschalreisen) oder Beförderungsverträge (sofern es sich nicht um eine Pauschalreise handelt) grundsätzlich versichert sind oder eine eigene Sparte darstellen. Sollten reiserechtliche Ansprüche eine eigene Sparte darstellen, wäre bei der Hinzunahme des „Europarecht-Bausteins“ jedenfalls zu beachten, ob die Sparte Reiserecht von diesem mitumfasst ist. Zusätzlich bestehen erhebliche Unterschiede zwischen älteren und neueren Versicherungsbedingungen. Auch hier ist jedenfalls Vorsicht geboten und die Anwendbarkeit der Bedingungen, auf die die vermeintliche Deckungsablehnung gestützt wird, zu hinterfragen.
Ein genaues Studium der Versicherungsbedingungen und der individuellen Versicherungspolizze lohnt sich.
Es bleibt jedem Versicherungsnehmer jedoch auch unbenommen, von den vom jeweiligen Rechtsschutzversicherer herangezogenen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung abweichende vertragliche Vereinbarungen zu treffen.
Bei der Vollstreckung im EU-Ausland bestehen erhebliche Unterschiede sowohl in der Durchführung als auch im Kostenaufwand. Eine ungarische Gerichtsvollzieherin konnte ohne Auftrag eines ungarischen Gerichts etwa einen vollstreckbaren Europäischen Zahlungsbefehl nicht eintreiben. Ein luxemburgischer Gerichtsvollzieher konnte wiederum in einem anderen (Fluggastrechte nicht betreffenden) Fall problemlos unter Übermittlung des vollstreckbaren Europäischen Zahlungsbefehls beauftragt werden und die Forderung für unsere österreichische Mandantin zur Gänze einbringlich machen. In beiden Fällen mussten die Mandanten ohne gedecktem Vollstreckungsverfahren daher in Vorleistung treten und sich dieses im Ausland selbst finanzieren.
Es wäre daher als letzte Möglichkeit, um ein Vollstreckungsverfahren im Ausland zu umgehen, Vermögen der unterlegenen Partei in Österreich zu suchen und etwa eine Exekution in Start- und Landerechte auf einem österreichischen Flughafen oder eine Exekution im Flugzeug, das gerade in Österreich gelandet ist, selbst zu erwägen. Ob derartige Exekutionsanträge von der Rechtsschutzversicherung zu decken sind (ein österreichisches Gericht wäre dann wieder zuständig, sofern die Pfändung auf einem auf österreichischem Boden gelandeten Flugzeug stattfinden soll) ist in unserem zweiten Fall noch zu klären.
Wir stehen Ihnen sehr gerne bei Ihrem individuellen Fluggastrechtefall mit rechtlichem Rat zur Seite und bemühen uns auch um die Erlangung allfälliger Deckungszusagen, sofern dies aufgrund Ihres Rechtsschutzversicherungsvertrages denkbar und möglich ist.
Mag. Dominique Perl ist Rechtsanwaltsanwärterin bei Neumayer & Walter Rechtsanwälte KG und beschäftigt sich ständig mit reiserechtlichen Fällen der Kanzlei.
Mag. Ulrich Walter ist Kanzleipartner bei Neumayer & Walter Rechtsanwälte KG und Experte im Reise- und Versicherungsrecht.