Steht bei einer coronabedingten Annullierung die Ausgleichsleistung gem. Art 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (kurz: FluggastrechteVO) zu?
Wenn ein gebuchter Flug ausfällt oder mehr als drei Stunden Verspätung hat, besteht nach der FluggastrechteVO grundsätzlich ein Recht des Fluggastes auf eine Ausgleichsleistung (Entschädigung), die je nach gebuchter Flugstrecke bis zu 600 Euro beträgt. Die Ausgleichsleistung ist durch das Flugunternehmen jedoch nicht zu bezahlen, wenn der Fluggast 14 Tage vor dem Flugdatum über den Ausfall informiert wurde.
Die Information über den stornierten Flug kommt oft ungelegen und überraschend.
Erwägungsgrund 12 der Verordnung spricht in diesen Fällen von einem Ärgernis und von Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen und ebenfalls verringert werden sollten. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen informieren und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anbieten, sodass die Fluggäste umdisponieren können.
Andernfalls sollten die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. (Art 5 Abs 1 und Art 7 Fluggastrechte VO).
Lange keine Klarheit ob außergewöhnliche Umstände aufgrund der COVID-19 Pandemie anzunehmen sind.
Zur Frage, ob man bei einer coronabedingten Annullierung neben dem Anspruch auf Rückerstattung der Ticketkosten oder anderweitige Beförderung auch einen Entschädigungsanspruch hat, ist jedoch erst seit Kurzem mehr Klarheit geschaffen worden.
Anfänglich erschien es aufgrund der am 18.03.2020 von der Europäischen Kommission veröffentlichten Auslegungsleitlinien u.a. zur FluggastrechteVO so, als ob Corona zu den außergewöhnlichen Umständen zu zählen wären und Annullierungen pauschal auf diese zurückzuführen seien. So heißt es etwa in Punkt 3.4. der Auslegungsleitlinien „Nach Auffassung der Kommission sind die Maßnahmen, die Behörden zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie ergreifen, ihrer Art und Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit von Beförderern und von diesen tatsächlich nicht zu beherrschen.
Die Bedingung des Art 5 Abs 3 der FluggastrechteVO sollte daher als erfüllt gelten, wenn Behörden bestimmte Flüge entweder von Rechts wegen verbieten oder den Personenverkehr in einer Weise untersagen, die de facto die Durchführung des betreffenden Flugs ausschließt.“
Die nicht durch unsere Kanzlei erwirkte Entscheidung des HG Wien vom 19.03.2021 zu 60 R 20/21b definiert die vorerwähnten Auslegungsleitlinien der Kommission, die durchaus als unternehmerfreundlich betrachtet werden können, etwas anders und rückt diese in ein anderes Licht:
Im vorliegenden Fall hat die beklagte Fluglinie nämlich vorgebracht, dass die Annullierung des Fluges auf außergewöhnliche Umstände, nämlich eine Flugplanänderung, bedingt durch die Corona-Pandemie zurückzuführen gewesen wäre. Im Zuge des Verfahrens über die vom Fluggast begehrte Ausgleichsleistung wegen Annullierung des Fluges von Rom nach Wien sowie des Aufwandersatzes für Mahlzeiten und Erfrischungen konkretisierte die beklagte Fluglinie nämlich die eingewendeten außergewöhnlichen Umstände dahingehend, dass anhand der Buchungslage des Streckennetzwerks und der Auslastung sowie der entsprechenden Implikationen durch die COVID-19-Maßnahmen Annullierungsentscheidungen getroffen werden mussten.
Gerade in diesem Fall war daher die beklagte Fluglinie nicht aufgrund von behördlichen Auflagen oder Beschränkungen des Personenverkehrs zur Annullierung des Fluges gezwungen, sondern vielmehr aufgrund (durchaus nachvollziehbarer) ökonomischer Erwägungen.
Argumentation mit Gesundheitsschutz und besserer Auslastung zweischneidig
Die durch die weltweite COVID-19 Pandemie zwingend notwendigen Flugplanänderungen und sämtliche Begleitmaßnahmen, die Fluglinien zu treffen haben, stellt für sich allein nach Ansicht des HG Wien noch keinen außergewöhnlichen Umstand dar.
Eine gleichwohl berechtigte Argumentation mit der Notwendigkeit, die Besatzung sowie die Fluggäste auch in Punkto Gesundheit zu schützen, steht jedoch in eklatantem Widerspruch zur Annullierung eines Fluges aus ökonomischen Erwägungen. Die bessere Auslastung des nächsten Fluges führt nach Ansicht des HG Wien zu einem größeren Infektionsrisiko auf diesem und kann daher nicht als Maßnahme des Gesundheitsschutzes, die mit einem außergewöhnlichen Umstand nach der Diktion der FluggastrechteVO in Einklang stehen würde, verstanden werden.
Zusammengefasst wäre daher eine bei weniger als 14 Tage vor dem geplanten Abflugdatum bekanntgegebenen Annullierung wegen COVID-19 genau zu prüfen, ob neben dem Wahlrecht zwischen vollständiger Erstattung des Flugtickets oder anderweitiger Beförderung (Umbuchung), auch eine sogenannte Ausgleichsleistung zusteht.
Ihre persönlichen Erstattungsansprüche in Zusammenhang mit COVID-19 hängen von vielen unterschiedlichen Faktoren, wie die Art der gebuchten Reise, dem Zeitpunkt der Annullierung und der Lage am Reiseziel ab. Wir unterstützen Sie gerne bei der Prüfung Ihrer Ansprüche bei Reiseausfällen sowie bei sämtlichen Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem europäischen Reise- und Passagierrecht.
Zur Autorin: Mag. Dominique Perl ist seit Jänner 2020 als Rechtsanwaltsanwärterin bei Neumayer & Walter tätig und befasst sich zusammen mit Mag. Ulrich Walter und MMag. Dr. Johannes Neumayer ständig mit aktuellen Fragen des europäischen Reise- und Passagierrechts.