Beim Millionencoup mit Schließfächern war ein Krimineller sehr dreist: Trotz Alarmauslösung betrat er noch zwei Mal den Saferaum. Die Geldinstitute wollen jetzt ihre Kunden freiwillig entschädigen.

Wie sich jetzt herausstellt, wäre die Profibande, die in drei Bankfilialen 65 Schließfächer knackte und Wertsachen in zweistelliger Millionenhöhe erbeutete, beinahe auf frischer Tat ertappt worden. Das geht aus einem den SN vorliegenden Amtsvermerk hervor, datiert mit 27. November 2020, in dem ein Polizeibeamter eine „nachträgliche Ersteinschreitermeldung zur Alarmauslösung vom 13. 11. 2020“ bekannt gibt.

Rückblende: Am 13. November 2020 schlug eine aus mindestens sieben Tätern (sechs Männer und eine Frau aufgeteilt in drei Teams) bestehende Einbrecherbande zeitgleich in drei Geldinstituten in Mödling, Klosterneuburg und in Wien-Döbling zu. Die Kriminellen waren laut Polizei von 18 Uhr bis 23.14 Uhr in den Saferäumen und räumten in dieser Zeit seelenruhig Schmuck, Juwelen, Goldbarren und Bargeld aus den Bankdepots in mitgebrachte Taschen und Rucksäcke. Streng unterVerschluss hielt die Polizei bislang, dass in einer Filiale offensichtlich nicht alles nach Wunsch gelaufen ist – nämlich in der Raiffeisen-Filiale in der Muthgasse in Wien-Döbling. Dort beorderte die Landesleitzentrale kurz vor19.30 Uhr eine Polizeistreife zum Tatort.

Der Grund des Einsatzes: In der Zentrale war ein sogenannter TUS-Alarm eingegangen.Die angeforderten Beamten nahmen bei ihrem Eintreffen einen dunkel gekleideten Mann wahr, der gerade die Bank verließ. Er wurde kontrolliert, erwies sich aber alsbald als unverdächtig. Die Besatzung eines zweiten Streifenwagens durchsuchte in der Zwischenzeit die Bankfiliale – und konnte nichts Auffälliges entdecken.

Auch ein verständigter Alarmfahrer einer Sicherheitsfirma, der um 19.40 Uhr eintraf, gab Entwarnung. Kurios ist, dass um 19.57 Uhr die Polizeistreife erneut zum Tatort geschickt wurde, weil ein zweiter Alarm aus der Bank bei der Funkstelle eingelangt war. Der noch vor Ort anwesende Mitarbeiter des privaten Sicherheitsunternehmens schickte sie mit folgenden Worten weg: „Es handelt sich erneut um einen Fehler, da bei unserer Sicherheitszentrale der Alarm bereits still geschaltet und alles in Ordnung ist. Ihre Kollegen waren vorher eh schon da und haben mit mir alles durchsucht, da war alles okay. Ich glaube, jemand hat den Notschalter statt des Türöffners betätigt.“

Hatten sich die Täter zu dieser Zeit unbemerkt im öffentlich nicht zugänglichen Saferaum verschanzt? Nein, sagt die Ermittlungsgruppe bestehend aus Beamten der Landeskriminalämter Niederösterreich und Wien. Die nachträgliche Auswertung der Videoüberwachung im Geldinstitut habe gezeigt, dass ein maskierter und bepackter Mann unmittelbar vor Eintreffen der ersten Polizeistreife das Weite gesucht habe. „Er hat offensichtlich mitgekriegt, dass er Alarm ausgelöst hat. Die Kollegen haben nach der Alarmierung drei Minuten zum Tatort benötigt“, sagt Heinz Holub, Sprecher der Landespolizeidirektion Niederösterreich.

Keine Erklärung hat er dafür, wie ein Verdächtiger einen stillen Alarm überhaupt bemerken kann. Warum die Polizei die wichtige Information, dass die Schließfächerbande durch einen Alarm aufgeschreckt wurde, wochenlang der Öffentlichkeit vorenthalten hat? „Ich weiß es nicht. Vielleicht haben die Kollegen aus ermittlungstaktischen Gründen diese Information bislang geheim gehalten“, erklärt Holub.

Jetzt ist auch klar, warum die Profieinbrecher in Wien verhältnismäßig wenig Beute machten: Denn während die Bandenmitglieder in der Raiffeisenbank Mödling 31 Schließfächer ausräumten und in der Bank-Austria-Filiale in Klosterneuburg 29, mussten sie in der Raika Wien-Döbling ihren Coup nach fünf Schließfächern abbrechen. Im Schnitt benötigten die Täter für jeden einzelnen Kundensafe zwischen zehn und 15 Minuten: Nachdem sich die Kriminellen mittels gefälschter Bankkarten Zutritt zu den Saferäumen verschafft hatten, mussten sie am Terminal die PINCodes eingeben, die sie zuvor mittels einer am Plafond angebrachten Kamera ausspioniert hatten. Es erfolgte die Anlieferung jedes einzelnen versperrten Schließfachs vom Haupttresor der Geldinstitute im Kellerin den Saferaum. Danach brachen die Kriminellen die Metallkästchen auf bzw. öffneten diese mit nachgemachten Schlüsseln.

Ein Geheimnis bleibt, warum bei den anderen beiden Banken kein Alarm ausgelöst wurde. Denn die geschädigten Geldinstitute machten in Aushängen ihre Kunden ausdrücklich darauf aufmerksam, dass ab einem Aufenthalt von 20 Minuten und länger im Saferaum.

Salzburger Nachrichten, Fritz Pessl, 11.01.2021

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